Die Christusgestalt an der Chorwand
In der Kirche gehen wir nun die Treppe hinauf und kommen in den Kirchenraum.
Beim Eintreten fällt unser Blick sofort auf die gegenüberliegende
dunkelblaue Chorwand mit der großen Christusgestalt an der Wand und dem
etwas erhöht stehenden Altar darunter.
Christus ist von Bildhauer Uhrig mit voller Absicht ohne Kreuz und ohne
Dornenkrone und mit einem bis zu den Füßen reichenden Rock bekleidet
dargestellt. Die Arme sind weit ausgebreitet. - Dieser Christus lebt!
Wer diese Christusgestalt längere Zeit anschaut und auf sich wirken
läßt, der ahnt vielleicht etwas von dem großen Geheimnis des
Auferstandenen, der wird empfinden, daß dieser Christus auf mehrere
Weisen zu uns spricht (Uhrig sprach von einer "mehrschichtigen"
Gestalt Christi):
- Er ist der Gekreuzigte; doch das Kreuz, an das er geschlagen war, und auch
die Dornenkrone fehlen. So wie Christus an der Chorwand zu sehen ist, ist er
selbst zum Kreuz geworden, zum Heilszeichen für alle Menschen, die ihn
suchen.
- Vor dem Blau der Chorwand, das den Himmel und das All ausweisen soll, ist
Christus der Auferstandene und zum Himmel Auffahrende. In Lukas 2451
steht:
Und es geschah, als er sie segnete, schied er von ihnen und fuhr auf gen
Himmel.
- Mit seinen weit ausgebreiteten, gleichsam die ganze Welt umspannenden
Armen sagt er zu uns (Matthäus 1128):
Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch
erquicken.
Er ist also der einladende und tröstende Christus.
- In seiner Gestalt der Kreuzesform mit den klaren senkrechten und
waagrechten Linien kann er Gedanken der "Kreuzmeditation" wachrufen:
Die Senkrechte (Kopf - Körper - Füße) weist auf die Beziehung
"oben - unten" hin, auf die Beziehung Gott - Mensch, oder umgekehrt
Mensch - Gott, wenn wir uns Gott zuwenden. Die Waagrechte der beiden
ausgestreckten Arme weist auf die Beziehung Mensch - Mensch.
Wenn man nun diese beiden Linien, die Senkrechte und die Waagrechte, in der
Stille auf sich wirken läßt, kann es geschehen, daß sie die
Gedanken zu den Geboten der Gottesliebe und der Nächstenliebe führen.
Sie erinnern an das Gespräch Jesu Christi mit dem Schriftgelehrten, als
dieser Jesus Christus nach dem höchsten Gebot im Gesetz fragte und Jesus
Christus antwortete (Matthäus 2237-40):
"Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer
Seele und von ganzem Gemüt." [= senkrechte Linie Gott - Mensch
bzw. Mensch - Gott]
Dies ist das höchste und größte Gebot.
Das andere aber ist dem gleich: "Du sollst deinen Nächsten lieben wie
dich selbst." [= waagrechte Linie Mensch - Mensch]
In diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.
Noch an ein anderes Senkrecht-Waagrecht-Verhältnis kann die
Christusgestalt erinnern: an das Vaterunser, in dem wir beten (Matthäus
612):
Und vergib uns unsere Schuld [= Senkrechte: Beziehung Gott - Mensch],
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern [= Waagrechte: Beziehung Mensch -
Mensch].
Mit anderen Worten: Der Mensch ist in seinen Möglichkeiten auch auf die
Gebote der Gottesliebe und der Nächstenliebe hin angelegt. Auch das sagt
uns diese Christusgestalt.
- Er ist die der Schöpfung und darin besonders dem Menschen zugewandte
Seite Gottes. Dies läßt uns an den zweiten Artikel unseres
apostolischen Glaubensbekenntnisses denken, der von Bildhauer Uhrig in dem
großen runden Fenster auf der Orgelempore dargestellt wurde. So besteht
eine enge und direkte Beziehung zwischen der Christusgestalt an der Chorwand
und dem Farbfenster in der Südwand. Diese Verbindung bzw. dieses
Gegenüber war von Uhrig so gewollt. Ist doch dieses Farbfenster die
bildliche Darstellung dessen, was der Evangelist Johannes mit den Worten
(Johannes 114)
Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns und wir sahen seine
Herrlichkeit.
sagt und was wir im zweiten Artikel unseres Glaubensbekenntnisses mit anderen
Worten ausführlicher sprechen.
- Die Christusfigur steht in vielfältiger Beziehung zum Altar.